sammlung

Was macht dich glücklich?

Jesus, Barbie, Sekundenglück und das Ende

Teil 1: Was macht dich glücklich?

Mit einem Lächeln wacht sie auf.
„Das ist der beste Tag ever! Genau wie gestern und genau wie morgen und an jedem anderen Tag – und das für immer!“

Barbie räkelt sich noch einen Moment auf den rosa-roten Polstern und springt gut gelaunt aus dem Bett. Sie winkt den anderen Barbies zu.
Ein neuer glücklicher Tag in Barbie-Land beginnt.

Sie wird in ihrer Barbie-Traumvilla frühstücken. Sie wird mit ihrem pinken Cabrio durch die Stadt cruisen. Sie wird zum Strand gehen. Und abends ist Girl´s night.

Manchmal trifft sie Ken.
Vielleicht ist Ken ein Quäntchen weniger glücklich als Barbie.
Einmal sagt er: „Ich existiere nur in der Wärme deines liebevollen Blicks.“
Aber Barbie schaut meist nicht so genau hin.

Es könnte ewig so weitergehen im Land der glücklichen Barbies.

Eines Abends bekommt das Glück Risse.
Mitten auf der Tanzfläche sagt Barbie plötzlich laut: „Denkt ihr auch manchmal an den Tod?“
Die Party friert für einen Augenblick ein.

Dann lächelt Barbie und das Leben geht weiter.
Am nächsten Tag wacht sie mit Plattfüßen auf. Und überhaupt läuft das Leben nicht mehr richtig rund. Selbstzweifel und Angst verdunkeln die pinke Barbie-Welt. Sie beschließt, diesen unglückseligen Zustand möglichst schnell zu beenden. Dazu muss sie in die „Echte Welt“ reisen.
Ken versteckt sich im Cabrio und begleitet sie.

Ihre Beobachtungen in der echten Welt, der Menschenwelt, sind verstörend. Was Barbie und Ken dort erleben und mit nach Barbie-Land bringen, verändert auch ihre Welt nachhaltig.

Ob das Glück zurückkehrt?

Der Kino-Film „Barbie“ war in diesem Sommer ein Kassenschlager. In der Geschichte hat das rosa-rote Leben vom Anfang nicht lange Bestand.
War das überhaupt Glück?

Glück ist ein großes Wort!

Darum formuliere ich lieber ein bisschen konkreter: Was macht dich glücklich?

Diese Frage habe ich vielen Menschen gestellt, in den sozialen Medien, in der Kirchengemeinde und in den beiden Förderschulen, an denen ich als Schulpfarrerin arbeite.
Manche Erwachsene wussten darauf keine Antwort; erschreckend viele Schülerinnen und Schüler sagten: „Eigentlich bin ich nie richtig glücklich.“

Andere Antworten sprudelten nur so heraus:
Singen im Chor macht mich glücklich.
Dass meine Mutter den Krebs besiegt hat.
Fahrradfahren.
Das Lächeln des Schnuller-Kindes, das ich heute gesehen habe.
Tiktok.
Solange am Strand spazieren gehen, bis die Gedanken schweigen und das Herz beruhigt ist.
Das Feld mit den bunten Blumen und dass der Bauer sich so gefreut hat, als ich ihm dafür gedankt habe.
Zeit mit meinen Enkelkindern.

Mich berühren die Antworten. Menschen haben ihr Herz geöffnet. Sie beschreiben Glückserfahrungen. Glücksmomente. Sekundenglück.

Glück ist zerbrechlich.
Gerade das macht es so kostbar.

Glück ist vergänglich.
Unglück zum Glück auch.

Was macht Sie, was macht dich glücklich?



Teil 2: Jesus und das Glück

Jesus atmet tief durch.
Er lässt seinen Blick über die vielen Menschen wandern,
die auf der Wiese am Berghang sitzen.

Halb versteckt hinter einem Felsen entdeckt er
eine Familie: Vater, Mutter, drei kleine Kinder.
Tagelöhner, die morgens nicht wissen, ob sie genug
verdienen für das Abendbrot der Kleinen.
„Und trotzdem sind sie hier“, denkt Jesus.
„Schon morgen könnten sie einfach so vertrieben werden
aus ihrem Häuschen, wenn es wieder nicht für die Pacht
reicht. Niemand wird sich für sie einsetzen. Sie sind allein.
Ohne Rechte. Arm und machtlos.“

Jesus schließt die Augen.
Er versucht, Worte zu finden für seine inneren Bilder.

Aber das Stimmengewirr lenkt seine Aufmerksamkeit
zurück zu den Leuten.

Er öffnet die Augen wieder und sieht die alte Frau,
deren Gesicht fast vollständig von ihrem Tuch verdeckt
wird. Seit langem ist sie Witwe.
Man sieht sie nur noch selten draußen, und wenn,
dann huscht sie vorbei, lässt ihren Blick wandern.
„Sie wird verrückt“, sagen die Menschen.
Dabei sucht sie nur verzweifelt nach einem Stück Brot,
das jemand achtlos weggeworfen hat.
Heute hat die Nachbarin nicht lockergelassen,
bis sie mitgekommen ist.

Jesu Blick wandert weiter. Er sieht die Frau und den Mann,
mittelalt, ganz am Rand.
Er sieht aber auch die Lücke zwischen ihnen.
Ihr einziges Kind ist vor einiger Zeit beim Fischen aus dem
Boot gefallen. Niemand konnte helfen, keiner hier am See
kann richtig schwimmen.

Jesus schließt erneut die Augen.
Die Bilder in seinem Kopf und in seinem Herzen formen
sich endlich zu Worten.

Lesung:
Glücklich sind die Armen,
denn das Reich Gottes gehört ihnen.
Glücklich sind die Hungernden,
denn sie werden satt werden.
Glücklich sind die Trauernden,
denn sie werden getröstet werden.


Einen Augenblick ist es ganz still.
Einige Leute nicken und lächeln.

Da springt ein Mann auf, zornrot im Gesicht brüllt er Jesus an: „Mann Jesus, das ist total zynisch!
Wie kannst du die beglückwünschen, denen es so offensichtlich dreckig geht?
„Herzlichen Glückwunsch, Ihr Armen. Euch gehört Gottes Reich!“
Na toll, wo ist es denn? Was können sie sich denn davon kaufen?
„Herzlichen Glückwunsch, Ihr Trauernden und Hungrigen“

Soll sie das etwa satt machen? Oder wieder glücklich?
Hör auf zu träumen, Jesus! So ist unsere Welt nicht!“

Jesus hat aufmerksam zugehört. Jetzt nickt er dem Wütenden zu. „Du hast Recht, wenn du nur auf das siehst, was vordergründig ist. Und doch ist das nur ein Teil der Wirklichkeit.

Gottes Reich – das ist der Schlüssel, um das Leben zu verstehen.
Schaut: Gottes neue Welt ist schon da: Auf der anderen Seite des Todes.
Aber auch schon hier und jetzt: An diesem See.
Hier beginnt Gottes neue Welt.

Eine Welt, in der jede und jeder seinen Platz findet: Gleich wertig, gleich geliebt, gleich geachtet.“

Jesus lächelt. „Schaut genau hin!“

Manche sehen, wie die Nachbarinnen einander umarmen und jemand der alten Frau ein Stück Fladenbrot und Feigen reicht.

Einige Kinder gehen zu den verwaisten Eltern und erzählen ihnen, was sie mit ihrem Sohn erlebt haben. Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Paares.
Wer es sehen will, kann es sehen.

Die Familie geht Hand in Hand nach Hause. Der Vater sagt leise im Vorübergehen: „Danke, Jesus, dass du auf unserer Seite bist. Morgen ist ein neuer Tag. Ich werde Arbeit finden.
Am Ende wird alles gut!“

Jesus streicht den Kindern segnend über den Kopf und winkt ihnen zum Abschied zu.
Wer es sehen will, kann es sehen.

Laut sagt er: „Ja, hört! Dieser Mann hat Recht!
Lasst uns Glück vom Ende her denken!

Wenn ihr sagt: Aber es ist noch nicht gut – dann ist es noch nicht das Ende, dann fehlt noch etwas an Gottes neuer Welt.
Aber am Ende wird wirklich alles gut:
Am Ende wartet das Glück.
Und von dort fließt es schon hier und da in unsere Zeit. Wie ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet.

In Gottes neuer Welt werden die Traurigen getröstet sein.
Gott selbst wird ihre Tränen abwischen.
Sie werden vereinigt sein mit denen, die sie jetzt so schmerzlich vermissen.
Bis dahin versuchen wir, einander zu trösten.

Eines Tages werden alle für immer gesättigt sein – mit Brot, mit Liebe, mit Geborgenheit, mit Frieden.
Gott selbst wird uns den Tisch decken und das Glas füllen. Und bis dahin versuchen wir, den Hungrigen, den Heimatlosen, den Sehnsüchtigen etwas von dem zu geben, was sie so dringend brauchen.

Hört nicht auf zu träumen von Gottes neuer Welt!“

Mittlerweile ist es Abend geworden.
Wolken sind aufgezogen.

Auch das Elternpaar und die alte Frau und ihre Nachbarin machen sich auf den Heimweg.
Während sie losgehen, bricht die Sonne noch einmal durch die Wolken.
Wie eine Botschaft aus einer anderen Welt, füllt sie die Risse mit goldenem Licht. Sekundenglück.





Teil 3: Wir und das Glück

Was macht dich glücklich?
So fragen wir heute in diesem Gottesdienst.
Aber ist die Frage eigentlich richtig gestellt??
Geht es im Leben darum?
Geht es um mein und dein individuelles Glück?

Ich glaube: Glück und Gemeinschaft gehören oft zusammen.

Viele der Glücks-Sätze, die wir im ersten Teil der Predigt gehört haben, erzählen davon: Das Singen im Chor, die Zeit mit der Familie, das Lächeln des Kindes, der Bauer, der sich über ein Dankeschön freut.

Auch in Barbie-Land blitzt die Sehnsucht nach dem Glück im Wir auf:
Ken spürt, dass da etwas falsch läuft, wenn er sich erst in der Verbindung mit Barbie gesehen fühlt.
Zum Glück gehören Beziehungen auf Augenhöhe. Beziehungen, in denen Menschen sich achten und dafür sorgen, dass niemand zu kurz kommt. Wo gilt: Du darfst so sein, wie du bist. Du genügst.

In der Bergpredigt spricht Jesus nicht von Ungefähr im Plural: Glücklich sind die Armen, die Trauernden, die Hungrigen …
Ich kann für mich alleine glücklich sein.
Aber einsam glücklich zu sein, geht kaum.
Glücksmomente auf Kosten anderer zu erleben – auch das ist kein echtes Glück.

In der Bergpredigt spricht Jesus nicht von Ungefähr im Plural: Glücklich sind die Armen, die Trauernden, die Hungrigen …Ich kann für mich alleine glücklich sein. Aber einsam glücklich zu sein, geht kaum.
Glücksmomente auf Kosten anderer zu erleben – auch das ist kein echtes Glück.

In der Sicht Jesu können wir am Ende nur glücklich sein, wenn es den anderen gut geht und auch sie glücklich sind.

Da ist Jesus radikal: Maßstab für Glück sind diejenigen, die jetzt und hier nicht glücklich sein können, weil ihnen Menschenrechte vorenthalten werden, weil sie nicht das Lebensnotwendige haben, weil sie trauern.
Glück für alle ist erst erreicht, wenn es den Leidenden gut geht.


Zum Schluss bin ich noch einmal bei Ken und seinem sehnsüchtigen Satz: „Ich existiere nur in der Wärme deines liebevollen Blicks!“

Als Pfarrerin in Förderschulen erlebe ich täglich Kinder, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sie leben in Jugendhilfeeinrichtungen, kennen zerbrochene Beziehungen, haben schon viele Abschiede erlebt, auch viel Ablehnung. Ihr Verhalten spiegelt oft ihre Sehnsucht nach Beachtung und Aufmerksamkeit wider.
Ich ahne: Glücklich zu sein hat etwas damit zu tun, gesehen zu werden. Angesehen zu werden mit einem liebevollen, lebensbejahenden Blick. So angenommen zu werden, wie ich bin.

Und gilt das nicht für jedes Geschöpf?

Anders gesagt: „Ich existiere, Gott, in der Wärme deines liebevollen Blicks!“

Gottes liebevoller Blick auf die Welt, auf meine Mitgeschöpfe und auf mich lässt auch mich anders sehen lernen.
Ich versuche, wie Jesus Glück vom Ende her zu denken.

Die Kantorei wird gleich singen:

„Wag den Neuanfang!
Fang zu träumen an!
Feinde stärken sich den Rücken,
Vertrauen beendet den Krieg.
Verzweifelte singen,
Ängstliche verspüren Mut.“

Ja, fangt zu träumen an: Fangt zu träumen an vom Glück.
Amen.

Pfarrerin Mirjam Ellermann, Iserlohn im Oktober 2023
Bibelstellen zur Andacht:
Mt 5,3 - 5

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