sammlung

Vernebelte Ansichten

Unsere Brillensäuberer

„Wie sieht das denn aus? Das soll ich essen?“ Opa starrt ärgerlich auf den Teller. Dann schaut er mich an und setzt noch einen oben drauf: „Und du siehst heute auch so komisch aus.“ Ach Opa… Ich nehme dem alten Mann die Brille von der Nase, wisch sie sauber und gebe sie ihm zurück. Irritiert schaut er erst mich an, dann den Teller und dann lachen wir beide laut los. Im Stillen denke ich: Au backe, der Opa wird ja langsam echt alt!

Später fällt mir auf: Ich trage auch Brillen, die mir die Sicht vernebeln. Erst vor ein paar Wochen habe ich meine Freunde mit der berühmten rosaroten Brille in den Wahnsinn getrieben. An anderen Tagen verstecke mich hinter verspiegelten Gläsern oder sehe die Welt nur durch eine schwarz weiß Brille. Ich bin schlecht drauf, verurteile andere vorschnell und denke in Schubladen. Zum Glück gibt es immer wieder Freunde, die mir die Brille von der Nase nehmen oder die Gläser säubern. Die mir zeigen, dass meine Weltansicht gerade ziemlich vernebelt ist.

Die Bibel ist übrigens auch so ein ´Brillensäuberer´. Ich kann die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen, mein Horizont erweitert sich und ich bekomme neue Ideen, wie ich mein Leben gestalten kann. In der Bibel steht übrigens auch, dass alte Menschen geehrt und respektiert werden sollen und das weißes Haar ein Anzeichen von Weisheit ist. Das gilt erst recht für meinen Opa. Das merke ich unter anderem an den Komplimenten, die er mir seit einiger Zeit macht, wenn ich wieder mal für ihn Essen koche.

Lisa Kielbassa

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