How do you sleep?!
Von Monstern und Menschen, Glauben und Vertrauen
Ich höre das Weinen meines Sohnes, es klingt verzweifelt, panisch, als ginge es um sein Leben. Ich haste ins Kinderzimmer - Licht an. „Was ist los?“ Mein Sohn ist schweißgebadet, er sieht mich an, aber irgendwie auch durch mich hindurch, ist noch halb im Schlaf. „Was ist los?“ Er sagt nichts, weint weiter, immer noch völlig verzweifelt. „Was ist denn nur los?“ „Da ist ein Monster.“ „Wo denn?“ „Na da!“ „Ich glaube, das hast du nur geträumt. Schau mal, da ist nur der Stuhl, und der große Teddy…“ Langsam wird sein Blick klarer, aber er hat immer noch Angst in den Augen. „Aber vielleicht kommt es wieder.“ „Wie soll es denn wiederkommen, die Tür ist doch zu, das Fenster auch…“ „Vielleicht kann es durch die Wand kommen.“ „Das kann es nicht, wir sind doch alle hier.“ Ich lege ihm meine Hand auf die Brust, spüre, wie schnell sein Herz schlägt, wie heftig sein Atem geht. „Du brauchst keine Angst zu haben. Du bist nicht allein. Hier ist kein Monster und es kommt auch keins rein. Darauf passe ich auf.“ Langsam wird sein Atem ruhiger. Er dreht sich zu mir und nimmt meine Hand. Ich decke ihn richtig zu, halte seine Hand noch einen Moment, bis er wieder einschläft.
An diese Szene fühle ich mich erinnert, wenn ich die Geschichte vom Sturm auf dem See lese: Jesus und seine Jünger sind mit dem Boot unterwegs, als plötzlich ein heftiges Unwetter losbricht. Jesus schläft, auch als die Wellen bereits über dem Boot zusammenschlagen. Die Jünger aber geraten in Panik, wecken ihn. Lukas berichtet, wie es weitergeht: „Jesus stand auf und bedrohte den Wind und die Wogen des Wassers, und sie legten sich und es ward eine Stille. Er sprach aber zu den Jüngern: Wo ist euer Glaube?“ (Lk 8,24-25).
Jesus vertreibt den Sturm wie einen schlechten Traum. Er erkennt die Angst der Jünger und gibt ihnen die Sicherheit, die sie in diesem Moment brauchen - ähnlich wie die Mutter, die dem Kind die nächtliche Angst vor den Monstern nimmt, indem sie ihm versichert, dass sie da ist und aufpasst.
Jesus zeigt sich machtvoll, demonstriert seine Stärke. Doch das Entscheidende ist eigentlich etwas anderes, und darauf stößt er die Jünger im Anschluss mit seiner Frage: Wo ist euer Glaube? Es stecken noch weitere Fragen, vielleicht auch leichte Vorwürfe darin: Was seid ihr so ängstlich? Warum vertraut ihr mir nicht? Jesus macht deutlich, dass die Jünger seine eigentliche Stärke noch nicht erkannt haben. Sie staunen über seine Macht, bewundern, dass er der Naturgewalt gebieten kann. Aber sie sehen nicht, dass seine eigentliche Stärke ganz woanders liegt, nämlich in einer Handlung, die äußerlich betrachtet alles andere als stark ist: Er schläft. Jedes Kind kann schlafen, man braucht dazu keine Muskeln, keine besonderen Fähigkeiten - nur Vertrauen. Und Jesus hat Vertrauen. So viel, dass er selbst im größten Sturm ruhig und friedlich schlafen kann. Das ist das eigentliche Wunder, die eigentliche Stärke, aber die Jünger erkennen sie noch nicht. Stattdessen sehnen sie sich nach äußerer Stärke, nach einer sichtbaren Machtdemonstration, die aber bei genauerer Betrachtung eigentlich dem vertrauensvollen Schlaf unterlegen ist. Schwach sein zu können, sich voll Vertrauen hingeben – das ist die eigentliche Stärke. Es klingt so leicht, einfach zu vertrauen, doch wie schwer es in der konkreten Not ist, müssen die Jünger erkennen und bemerken auch wir selbst immer wieder in unserem Leben.
Es gibt sehr viele sehr reale Monster, die gerade in unserer Welt ihr Unwesen treiben, die Kriege anzetteln, Tod bringen, Hass stiften und Leben bedrohen – und die sich leider nicht auflösen, wenn wir das Licht anschalten. Und es gibt auf unserer Erde immer mehr Stürme, Brände, Fluten und Naturkatastrophen, die das Leben so vieler Menschen gefährden, sie in Elend und Not leben lassen. Wir sind mit so vielen Bedrohungen konfrontiert - und die Antwort darauf soll einfach nur Vertrauen sein?! Einfach ruhig weiterschlafen?!
Sehnen wir uns nicht auch danach, zu Jesus gehen, ihn aus seinem Schlaf wecken und um Hilfe bitten zu können? Könnte er die ganzen Bedrohungen unserer Welt nicht auch mit einer Hand wegwischen, so wie den Sturm auf dem See? Könnten wir Jesus heute wecken, lägen uns da nicht ähnliche Worte auf der Zunge wie seinen Jüngern: Wie kannst du schlafen, Jesus, während wir hier untergehen?! Mir fallen Worte aus dem Song „Dear Mr. President“ von Pink ein: How do you sleep while the rest of us cry? / How do you dream when a mother has no chance to say goodbye? - Manchmal klingen unsere Gedanken vielleicht auch wie bei der Band „Midnight Oil“ (leicht abgewandelt): How do you sleep while our beds are burning? - Wie kannst du schlafen, Jesus, während Naturkatastrophen unsere Lebensgrundlagen zerstören? Wie kannst du schlafen, Jesus? Wo bist du, Gott? Wir bräuchten gerade ganz konkret deine Hilfe…
Doch Jesus ermutigt uns genau dazu: Nicht zu verzweifeln und nicht zu zweifeln an Gottes Mit-Sein. Glauben bedeutet zu vertrauen, dass Gott da ist, auch in der Not. Glauben bedeutet, nicht gleich in Panik zu verfallen und alle Hoffnung über Bord zu werfen, wenn die See rauer wird. Glauben bedeutet, sich nicht von Machtdemonstrationen beeindrucken zu lassen und sich andererseits auch nicht allein daran festzuklammern. Glauben bedeutet, den Zweifel zu überwinden und auf Gottes Mit-Sein zu vertrauen, auch in schwierigen Situationen.
Aber die Geschichte vom Sturm auf dem See zeigt auch, dass Jesus weiß, wie schwer das für uns ist. Jesus weiß, dass wir immer wieder zweifeln, und das ist auch in Ordnung, es ist einfach menschlich. Aber er will uns Mut machen, die Stärke des Glaubens zu erkennen. Glauben ist nicht einfach naiv, bedeutet nicht, die Augen zu verschließen vor der Realität. Der schlafende Jesus zeigt uns, wie stark uns Vertrauen machen kann. Unsere eigentliche Stärke liegt in dieser vermeintlichen Schwäche, in diesem Vertrauen. Auf dieser Grundlage können wir unser Leben anders angehen. Wir können uns mit Gott im Rücken auf das besinnen, was wir bewirken und verändern können, und das, was in unserer Macht steht, mit Mut und Zuversicht anpacken. Wir müssen uns nicht den Gewalten, die wir erleben, unterwerfen, sie nicht tatenlos hinnehmen. Vertrauen in Gottes liebevolle Zuwendung gibt uns Ruhe und Sicherheit, nicht Gleichgültigkeit. Der Glaube macht uns Hoffnung, Mut und Zuversicht. Manchmal hilft das schon, Auswege zu entdecken, die die Angst zuvor verstellt hat. Oder es hilft zumindest, Gegebenheiten besser auszuhalten, die man nicht ändern kann, und Wege zu finden, damit umzugehen. Und Glaube verbindet. Wir können uns gegenseitig Mut machen, können uns daran erinnern, dass Gott bei uns ist, können einander auf Zeichen und Spuren seiner liebevollen Zuwendung in unserem Leben hinweisen. Und wir können uns auch ganz konkret gegenseitig in der Not helfen, den Bedrohungen etwas entgegensetzen. Dann verlieren die Monster in unserem Leben an Bedeutung, manche lösen sich vielleicht sogar auf.
Guter Vater, danke, dass du bei mir bist. Ich will lernen, dir mehr zu vertrauen.
Amen.
Bild Quelle: www.ifolor.de/inspirationen/schattenspiele-mit-schatten-einzigartige-fotos-erzeugen