sammlung

Halbtot

Seitenstiche, die Lunge stechend und ausgepumpt, den Kopf hochrot – ich bin fertig.

Halbtot hänge ich kopfüber, die Arme abgestützt auf dem Ast einer Kiefer. Unten glitzert kühl und schwarz die Talsperre. Mein Lieblingsort. Stille und Kraft. Spiegelglatt liegt er da. Himmel über dunklem Grund. Die verborgene eigene Grenze jedes Mal ein bisschen mehr ausloten. Noch keuchend vor Anstrengung klemme ich mich hinter das Lenkrad meines E-Bikes und trete triefend vor Schweiß in die Pedale. Warum tust Du Dir das an? Fragt Göran immer. Radelst da raus bei Wind und Wetter und rennst Dir die Seele aus dem Leib? Der Wind streift kühlend über die Stirn. Ja, warum tue ich mir das an? Keine Ahnung – vielleicht, weil es schön ist, dieser Wechsel von Ruhe und Durchstarten. Vielleicht, um zu beweisen, dass ich bin. Vielleicht, weil der Schmerz, die Erschöpfung, Platz macht für Neues.

Ich denke an meinen Garten. An den großen, leuchtenden Rosenbusch mit seinen betörend duftenden magentafarbenen Blüten Anfang Juni. Jedes Jahr nach dem Winter zücke ich die Gartenschere, raube ihm Ast um Ast, schneide tief ins Geäst. Jule, das Nachbarskind, weint. Warum machst Du das? Die schöne Blume. Jetzt ist sie tot!

Was Jule nicht weiß, die Gärtnerin jedoch schon: Der Strauch würde langsam aber sicher kahlen. Er würde Jahr für Jahr weniger blühen und irgendwann so blühfaul sein, dass nicht viel mehr von ihm zu sehen wäre als Dornen und Blätter. Erst der Schnitt ins Gehölz lässt ihn neu austreiben und in voller Pracht erstrahlen und duften.

Was vom Hause Juda errettet und übrig geblieben ist, wird von neuem nach unten Wurzeln schlagen und oben Frucht tragen (2. Könige 19,30).
Bibelstellen zur Andacht:
2.Kön 19,30 - 30

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