sammlung

"Gott ist ein Gehirntumor?"

Eine Gotteserkenntnis im schlimmsten Moment

Ich gebe es zu: Ich schaue unheimlich gerne Arztserien. In einer der letzten Folgen ging es um eine Frau, die wegen eines sehr plötzlich aufgetretenen Gemütswandels in Behandlung war. Man kannte sie schon aus einer vorigen Folge, in der sie sehr aggressiv und unnachsichtig aufgetreten war. Nun war sie wieder da – und zwar überglücklich und enthusiastisch. Ihre Begründung dafür: Sie habe Gott gefunden.

In der weiteren Handlung stellte sich heraus, dass die eigentliche Ursache für den Gemütswandel ein Tumor im Gehirn war, den die Ärzte der Frau operativ entfernen wollten, um ihr Leben zu retten. Aber anstatt sich den Tumor entfernen zu lassen, verweigerte die Frau die OP, denn die hätte auch bedeutet, dass sie wahrscheinlich wieder zu der Schreckschraube werden würde, die sie vorher war.

Mich brachte diese Entscheidung zum Nachdenken. Auf der einen Seite fand ich es verrückt, eine lebensrettende Operation zu verweigern. Würde sie nicht lieber leben wollen, anstatt glücklich zu sterben? Auf der anderen Seite: Wer will schon sein ganzes Leben lang unglücklich sein? Die Patientin in meiner Serie jedenfalls nicht. Durch den Tumor im Kopf hatte sie eine persönliche Gotteserkenntnis: Das Leben ist zu schön, um es dauerhaft unglücklich zu verbringen. Ich wünsche niemandem einen Gehirntumor für eine solche Erkenntnis. Aber die Geschichte der Frau hat mir mal wieder vor Augen geführt, dass manchmal auch die augenscheinlich fiesesten Momente des Lebens doch für etwas zu gebrauchen sind…

Anne Rütten

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