Fürchte Dich nicht!
Leben in stürmischen Zeiten
Sturm über dem See Genezareth. Wenn die Fallwinde von den Golanhöhen herabstürzen, dreht sich das Wetter innerhalb einer Stunde und das ruhige Gewässer am nördlichen Jordangraben wird zu einem aufgepeitschten See. Zur Zeit Jesu wie heute.
Die Jünger Jesu stecken in so einer Lebenssituationen fest und haben das, was die meisten Menschen in solchen Lagen haben: Angst. Dabei hatte alles so gut begonnen. Sie waren nach der Erzählung des Matthäus einzeln berufen und damit geehrt worden. Sie zogen mit dem gelehrten Wanderprediger durchs Land und erlebten wie Tausende zu seinen (Berg)predigten strömten. Sie sahen die Hoffnung der Menschen in den Augen der Frauen und Männer, der Israeliten und auch derer aus anderen Völkern. Friede ist nah! Hier bahnte sie etwas ganz Großes an.
Und nun das: Nach einer intensiven Phase des Wirkens war Jesus in ein Boot gestiegen, - und die Jünger folgten ihm. Er legte sich in eine Ecke und schlief ein. Dann zog der Sturm auf. Nicht nur Gegenwind, nein, ein Beben muss es gewesen sein. Wenn selbst erfahrene Fischer wie Petrus und Andreas vor Angst erschüttert sind, dann war die Lage ernst. So wecken sie ihn. Der Rest ist legendär: Jesus stillt den Sturm. Und das nicht ohne sich über den mangelnden Glauben der Jünger zu wundern.
Es wäre verkürzt dieses Geschehen nur auf ein Naturschauspiel und das wunderbare dieser Geschichte zu verkürzen. In der antiken Welt ist das Schiff ein Bild für das Leben und die Seele und kontextbezogen auch schon mal für den Staat oder die Gemeinschaft.
Das Jüngerschifflein wird im Sturm durch ein Beben (Seismos) erschüttert. Seismographische Erschütterungen erleben auch heute Menschen jenseits von Erdbeben: Die Basis von Gemeinschaft wird durch Quarantänevorschriften in Zeiten von Pandemien erschüttert. Sintflutartige Umweltkatastrophen zerstören ganze Täler inmitten Deutschlands. Im friedlichen Europa, das seit 70 Jahren keinen Krieg mehr kennt, zieht innerhalb von Wochen ein Sturm auf und selbst Atomwaffen werden wieder als Abwehrkulisse in Stellung gebracht. Diese und andere Stürme erschüttern zu allen Zeiten das Leben von Menschen. Sie sind lebensbedrohlich, gefährlich und grausam, da gibt es nichts schön zu reden. Aber eines scheint Jesus den Menschen zu allen Zeiten mit auf den Weg geben zu können: Fürchtet Euch nicht. Habt keine Angst. Stellt Euch dem Sturm! Ruhig und besonnen. Mutig und stark! Denn mit der Angst in den Gliedern ist bereits alles verloren, aber mit dem Stärke des Glaubens kann selbst der größte Sturm überwunden werden.
"Und er stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da geschah ein großes Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief. Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir verderben!
Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?, und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; und es ward eine große Stille". (Matthäusevangelium 8, 23-27)
Christian Uhlstein, Landesjugendpfarrer der EKvW