sammlung

Einfach schweigen

"Das macht mich sprachlos!"

Morgenmuffel wissen, wie sich echte Sprachlosigkeit anfühlt. Ich finde, es gibt Uhrzeiten, da sollte es völlig ok sein, nicht antworten zu müssen. Meine Geschwister und Eltern kennen das von mir – und können meistens damit umgehen. Denn vor 9 Uhr können sie von mir nicht mehr erwarten als ein schlechtgelauntes Grummeln. Das ist ja auch nicht böse gemeint: Bevor ich was Gemeines oder Falsches sage, halte ich lieber komplett den Mund.
Den Rest des Tages über ist das anders: Bevor ich nichts sage, hau ich lieber irgendwas raus, Floskeln oder halbherzige Kommentare – Hauptsache kein Schweigen. Dabei gibt es gerade im Moment vieles, das mich sprachlos macht: vor allem die Nachrichten von Menschen, die im Krieg getötet werden oder auf der Flucht vor dem Krieg ihr Leben verlieren; Fernsehbilder von Verzweifelten, die vor verschlossenen Grenzen stehen und zu tausenden ohne Schutz und medizinische Versorgung unter freiem Himmel warten – auf Hilfe und auf Sicherheit. Und jeder gibt irgendwie seinen Senf dazu, manche vorsichtiger, andere völlig unüberlegt und taktlos.
Mich als Christin erinnert der Tag vor Ostern: Auch das Schweigen hat seine Zeit, das gilt nicht nur für Morgenmuffel. Für das, was gerade in der Welt los ist, gibt es nämlich keine einfachen Worte. Das heißt nicht, dass wir schweigend auf ein Wunder warten, das vom Himmel fällt. Ostern ist nämlich auch nicht das Fest der schnellen und übernatürlichen Lösung. An Ostern feiern Christen, dass in aller Sprachlosigkeit die Hoffnung das erste Wunder ist.

Beatrice Wypchol

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24.02.23 08:49 - anjalukas-larsen
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