sammlung

Anhalter-Momente

"Wohin musst du?"

Wenn dir die Bahn genau vor der Nase wegfährt, ist das immer ein beschissenes Gefühl. Aber `ne richtige Tragödie, wenn du deinen Anschlusszug auf keinen Fall verpassen darfst.
Auf die nächste Bahn warten, ein Taxi rufen, laufen – ist nicht mehr drin, wenn die Zeit knapp ist. Als mir das das letzte Mal passiert ist, sah ich nur noch eine Lösung: per Anhalter fahren! Meine persönliche Premiere. Ich hab mich an die nächste Ampel gestellt und gefühlt ewig darauf gewartet, dass die Rot wird. Im einzigen Auto, das da irgendwann anhalten musste, saß ein Paar, ungefähr so alt wie meine Eltern. Ich hab irgendeine unbeholfene Geste gemacht, damit die Frau das Fenster runterkurbelt, und dann total hilflos was gestammelt von „Bahn verpasst, ICE-Anschluss, wichtiger Termin, Richtung Hbf“. Beide haben mich angeguckt wie einen Alien, bis der Mann dann in holprigem Deutsch erklärte, dass der Hauptbahnhof nicht auf ihrem Weg läge. Bei der nächsten Grünphase war der Punto wieder weg und auf der ganzen Fahrbahnlänge kein Auto mehr in Sicht. Das war’s wohl, dachte ich.
Aber aus dem Augenwinkel hab ich dann jemanden auf mich zulaufen sehen. Der Mann von eben hatte ein paar Meter hinter der Ampel angehalten und war ausgestiegen, um mir zu sagen, dass er mich ein ganzes Stück mitnehmen könnte – immerhin bis zur nächsten Haltestelle, an der mehr Bahnen und Busse fahren. Ich war total baff. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Gerne hätte ich mich umfangreicher bedankt als nur mit Worten. Ich hab‘ nämlich nicht nur meinen Zug gekriegt, sondern auch Stunden danach noch ein Lächeln im Gesicht gehabt.


Beatrice Whypchol

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