sammlung

Alles anders

Unterstützung nach Schicksalschlägen

Heute vor einem Jahr war noch alles ganz normal: Mein jüngerer Bruder Michael ist damals um diese Uhrzeit in Tel-Aviv durch die Straßen gelaufen, hat die letzten Eindrücke der Stadt aufgesaugt – am Vormittag darauf ist er in Düsseldorf gelandet. Das ist an sich erstmal nichts Besonderes. Das passiert jeden Tag tausende Male überall auf der Welt.
Aber kurz bevor mein Bruder glücklich in Deutschland angekommen ist, ist die Vorfreude vieler anderer auf so ein Wiedersehen für immer zerstört worden. Morgen ist es genau ein Jahr her, dass zwischen Barcelona und Düsseldorf ein Airbus von Germanwings in den französischen Alpen zerschellt ist. Von heute auf morgen hat das alles verändert im Leben hunderter Menschen: Von jetzt auf gleich war alles anders.
Ich weiß noch, wie meine Eltern und ich vor dem Fernseher saßen und sprachlos die Nachrichten verfolgt haben. Ich glaube, wir haben alle das gleiche gedacht: Das hätte auch uns treffen können; das hätte jeden treffen können.
Michael war nichts passiert. Aber es fühlt sich nicht gut an aufzuatmen, wenn man weiß, dass es viele andere eben doch getroffen hat. Das ist nicht fair.
Viele Menschen, die keine Angehörigen bei dem Absturz verloren haben, werden morgen am Gedenktag der Tragödie zeigen, dass sie Anteil nehmen: indem sie eine Kerze anzünden, mit einer Schweigeminute, in einem Gebet. Für die Familien und Freunde der Verstorbenen ist aber jeder Tag ein Trauertag, auch heute. Das Einzige, was wir zeigen können, ist: In dieser Gesellschaft gibt es Platz für Schmerz und Wut und Verzweiflung. Ansonsten können wir nur hoffen. Nämlich dass die Hinterbliebenen auf Menschen treffen, die mittrauern und sich mit-erinnern, öfter als nur einmal im Jahr.

Beatrice Wypchol

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